Handicap und „will to please“ oder:
Nur nie den Mut und die Träume verlieren

 

 

 

Doro`s "Fine" Fellow for Life

 

Bei einem Dummyseminar mit Andrea Rüter und Dirk Siekmann in Singhofen/ WW habe ich Madeleine und ihre kleine, schwarze Fine kennengelernt. 

 

Sensibilisiert durch mein eigenes (passageres) Handicap habe ich mein Augenmerk stärker auf diese Beiden gerichtet und was ich gesehen habe, hat mich mit Achtung erfüllt.
Vor allem nach Abschluss des Seminars als wir uns noch kurz unterhalten haben, hatte ich das Gefühl noch selten einem so zufriedenen, glücklichen Menschen begegnet zu sein wie Madeleine! Und dies obwohl es regnete wie aus Kübeln und die beiden Tage überaus anstrengend waren, ihr doch sehr viel abverlangt hatten. Sie konnte zu Recht stolz auf sich und ihre Hündin sein, beide hatten sehr viel Neues gelernt und Madeleine war sich sicher, endlich angekommen zu sein dort, wo sie schon immer hingewollt hatte. Ich habe sie 2 Monate später beim Fortsetzungsseminar in Winden/ WW wieder getroffen und hier kam mir auch der Gedanke, mich einmal etwas mit dieser Thematik zu befassen. Ich berichte – mit Madeleines Zustimmung und Dirk Siekmanns Unterstützung - gerne über diese Beiden, die zielstrebig auf ihrem beschwerlichen, aber erfolgversprechenden Weg in die Dummyarbeit sind.

Madeleine ist 57 Jahre alt und hatte 2005 aufgrund eines geplatzten Aneurysmas eine Hirnblutung mit gravierenden neurologischen Ausfällen, die erst durch eine weitere korrigierende Operation 2008 auf ein akzeptables Maß zurückgegangen sind. Dennoch bestehen linksseitig im Bereich von Gestik und Motorik Schwächen und Unsicherheiten, kommt es zu überschießenden Bewegungen, die sich der willkürlichen Beeinflussung entziehen. Madeleine hatte bereits vor ihrer Erkrankung Hunde und hat sich im Grunde schon lange zur Dummyarbeit hingezogen gefühlt. Mit ihrem Labbimädchen Indi hat sie Turnierhundesport betrieben, und nach Indis Tod in 2012 war die Angst sehr groß, nun vielleicht keinen Hund mehr führen zu können. Die Kommunikation mit einem „langjährigen“ Hund ist ja sehr eingespielt, und mit der Aufzucht eines Welpen nicht zu vergleichen. Erfreulicherweise hatte sie sich mittlerweile gesundheitlich deutlich stabilisiert, und auch genügend innerfamiliären Rückhalt, um die Herausforderung „neuer Hund“ annehmen zu können!

Die schwarze Labradorhündin Doro´s *Fine* Fellow For Life  ist nun 18 Monate alt, und in Madeleines Augen eine Fügung, wie sie glücklicher nicht sein könnte. Zu ihrer Freude zeigte sich schnell, dass Fines große Passion das Apportieren ist, also machte sich Madeleine auf die Suche und kam über die LCD-CZ zur o.g. Gruppe in Singhofen. In der Vorstellungsrunde benannte sie ihr Handicap und die daraus für sie und Fine erwachsenden Probleme. Obwohl Anfängerin, arbeitete Madeleine von Anfang an in der Fortgeschrittenengruppe von Dirk Siekmann mit. Zunächst galt es für Dirk als Trainer herauszufinden, auf was lässt sich die Hündin ein, was macht Probleme und: Was ist zwischen den beiden möglich?

 

Um Lernerfolge zu erzielen sind Hunde u. a. auf Kontinuität in der Vermittlung und auf wiederkehrende Abläufe angewiesen, was in diesem Fall aber nur teilweise gegeben war/ ist. Verständigungsprobleme und die daraus resultierenden Schwierigkeiten zeigten sich von Anfang an und sind ein ganz zentraler, bestimmender Trainingsinhalt, wobei die eigentliche Trainingsleistung im engeren Sinne zunächst zweitrangig war/ ist. Fine hat sehr deutlich ihr Unverständnis und Unsicherheiten  gezeigt weil für sie oftmals nicht eineutig war, was von ihr erwartet wurde, und sie dadurch etwas kopflos agierte.  

 

Madeleine führt problemlos rechts, schwieriger ist es, dass sie die Bestätigungen mit der linken Hand nicht exakt geben und umgekehrt das durchaus freudig präsentierte Dummy nicht auf die immer gleich Art abnehmen kann. Auch das Voranschicken kann nicht sauber gearbeitet werden, weil ihr die überschießende Motorik und die nicht 100% sichere Koordination manchmal einfach einen Strich durch die Rechnung macht.

Es war für Fine schwer, die Krankheitsbedingt instabile bzw. nicht konstante Gestik und Mimik Madeleines zu deuten, und Befehlen eine (im Sinne Madeleines) adäquate Handlung folgen zu lassen. Man darf nicht vergessen: Fine ist kein ausgebildeter Hund der auf seine Erfahrungen zurückgreifen kann, sondern bekam als Anfängerhund im Grunde genommen die Grundzüge der Dummyarbeit nicht sauber gezeigt. Sie musste irgendwie agieren um zum Erfolg zu kommen und sie musste neue, durchaus widersprüchlich (in ihrem Sinne) vermittelte Inhalte aufnehmen und verarbeiten.

Die dann ausbleibende Bestätigung, wenn sie nicht sauber gearbeitet hat, war schwierig für den Hund zu verstehen: sie hatte (in ihrem Verständnis) ja alles so gemacht, wie es ihr gezeigt und von ihr verstanden worden war! Das daraus resultierende Unverständnis Fines birgt die Gefahr einer Frustrationsspirale, die es im Training zu unterbrechen galt und immer wieder gilt.

 

Mit neurologischen Beeinträchtigungen wie in Madeleines Fall gibt es Probleme mit der gezielten Koordination. Die motorischen Unsicherheiten erfordern höchste Konzentration insbesondere auch beim Gehen und den Bewegungen bzw. bei Bewegungsabläufen. Bei dieser (wie jeder gemeinsamen) Arbeit muß die Konzentration gleichzeitig aber immer auch auf die Bewegungen/ das Verhalten usw. des Hundes gerichtet sein.
Gehandicapt ist Madeleine auch im spontanen Einsatz wenn es darum geht, Fine bspw. den Weg abzuschneiden oder schnell zu reagieren, um ihr behilflich zu sein. Motorische Reaktionen also, die der gesunde Zweibeiner ganz schnell und ohne zu überlegen einfach mal eben macht, die ihr aber (fast) unmöglich sind. Vieles muß überlegter ausgefüht werden und steht natürlich der Spontanität im Wege.

In schwerem bzw. abschüssigem Gelände und/ oder im Unterholz ist Madeleine klar im Nachteil, dennoch arbeitet sie auch hier so gut wie es ihr möglich ist, bzw. werden von Dirk die Aufgaben für sie abgewandelt.

 

Es ist eine beachtliche Leistung des Trainers, immer wieder einen theoretisch/ gedanklichen Spagat zwischen den bereits weit fortgeschrittenen Teams und dem Anfängerteam mit Handicap hinzubekommen. Für die Ausbildung bedeutet dieser Switch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen in die nicht alltägliche Problematik, und verlangt nach einer Modifikation des herkömmlichen Anfängertrainings.  

 

Jede/ -r der als Anfänger zu einem Seminar kommt ist zunächst verunsichert, zumal wenn er/ sie dann auch noch in die Fortgeschrittenengruppe eingeteilt wird.
Wir kennen das ja alle: Man hat Hemmungen und (manchmal!) auch Angst vor einer Blamage. Man vergleicht sich (bewusst oder unbewusst) mit den anderen Teilnehmern  und setzt sich damit (bewusst oder unbewusst) einem deutlichen Konkurrenzdruck aus. Der dann widerum natürlich Auswirkungen auf das "Arbeitsverhalten" hat. Diesen Druck versucht Dirk ihr nach Möglichkeit zu nehmen.

 

 Für Madeleine spielt die gegenseitige Akzeptanz in der Gruppe eine große Rolle, weil sie ihr die nötige Sicherheit gibt, zum Wohlbefinden beiträgt, die Aufregung deutlich absenkt und sie ruhiger agieren lässt.
Wichtigste Voraussetzung sei für ihn als Trainer die Ehrlichkeit im Umgang mit- und untereinander, egal wie der Ausbildungstand ist bzw. die gesundheitlichen Gegebenheiten sind, denn falsch verstandene Rücksichtnahme sei fehl am Platz, sagt Dirk. Die Erfahrungen der fortgeschrittenen Teilnehmer sind hier natürlich von großem Wert. Sie helfen, unterstützen, kritisieren und verbessern sich gegenseitig, im besten konstruktiven Sinne. So steht Madeleine mit Fine bspw. bewusst etwas abseits, denn es ist dann einfacher für sie, Fine unter Kontrolle zu halten wenn sie nicht zu eng mit den anderen Teams steht.

 

Madeleine fühlt sich in der Seminargruppe wohl, und in Dirk Siekmann hat sie einen Trainer gefunden mit dem sie harmoniert. Er setzt Vertrauen in sie und ihre Hündin und sie wiederum vertraut ihm und seiner Trainingsmethode. Samthandschuhe sind seine Sache nicht, so bekommt sie durchaus mal einen ordentlichen Anpfiff wenn etwas, das sie eigentlich kann, von ihr versemmelt wird. Wer übrigens einen Anpfiff bekam, als Fine sich -verfolgt von einem schnaubenden Dirk- auf die Socken machte und fröhlich Andrea Rüters Anfängergruppe aufmischte, erzähle ich natürlich nicht°!°   

 

Eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen ist, dass der Hund eines Menschen mit Handicap physisch und psychisch stabil und belastbar sein muß. Es ist für Fine ungleich schwerer ihren Menschen zu lesen und damit den Erwartungen gerecht zu werden, weil die Signale nicht immer eindeutig sind. Fine ist ein Hund mit einem ausgeprägten Gespür bzw. dem charakteristischen Bemühen, es richtig und gut für ihr Frauchen zu machen:

„will to please“, eben!
Durch das gezielte und auf sie zugeschnittene Training wird Madeleines Handicap für beide immer mehr zur „technischen“ Normalität als Grundlage für die gemeinsame Arbeit. Da die Wechselwirkungen des Verhaltens von Madeleine und Fines Reaktion darauf beständig thematisiert und übersetzt werden, um im Ergebnis gezielt auf eine Veränderung hinarbeiten zu können, haben sie eine Verständigungsbasis gefunden, die entlastend und zielführend ist. Damit wird Druck von Fine genommen, weil sozusagen ein verständnisvoller Übersetzer dabei ist, der u. U. auch mal eigene Interpretationen anbieten kann. In jedem Fall ist diese junge und sehr bemühte (und bildschöne!!) Hündin ein wirklicher Glücksgriff, denn nicht jeder Hund kann solch erschwerten Anforderungen gerecht werden. Je mehr Madeleine versteht, wie sie auf Fine wirkt, umso gelassener wird sie. Sie agiert inzwischen verständlicher durch das auf sie zugeschnittene Training und Fines Fortschritte sind augenfällig, wie wir im Oktober feststellen konnten.

 

Madeleine nutzt zuhause die täglichen Spaziergänge mit Fine zur Erledigung ihrer Hausaufgaben. Erklärtes Ziel bis zum nächsten Seminar im März ist: KEINE Schleppleine!
Ich bin gespannt *lach*, und jetzt ist sie in der Pflicht.
 

 

Für die Grundlagenausbildung/ Unterordnung haben die Beiden eine Trainingsgruppe zuhause in Dachau gefunden. Sie trainieren im Turnierhundesport Treibball, bei dem es sehr um Koordination und das Einweisen geht. Dummygruppen sind in dieser bayerischen Diaspora wohl anscheinend mehr als spärlich gesät, würde ich mal gelinde zu sagen/ behaupten wagen!
 

„Nur nie den Mut und die Träume verlieren“, ist Madeleines Credo! Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen finden ich, finden wir!

 

In diesem Sinne grüße ich alle Leserinnen und Leser in unser aller Namen,

  

Gabriele Heusel (p)fotografien.de